Verbannte Autos machen Platz für Radfahrer. So sieht Gents Innenstadt nach Inkrafttreten des neuen Verkehrsplans aus. Foto: iStockpho.com/adisa
Warum es sich lohnt, Stadtzentren mit mehr Lebensqualität zu planen, zeigen die Städte Gent und Hamburg.
In der belgischen Stadt Gent trat am 3. April 2017 ein neuer Verkehrsplan in Kraft.
Im Kern war es das Ziel, Autos aus der Innenstadt auszusperren und auf eine Ringstraße umzuleiten. Denn die mittelalterliche Stadt mit ihren vielen Kopfsteinpflaster-Straßen hatte ein gravierendes Stauproblem – und dreckige Luft. Die Menschen der 260 000-Einwohner-Stadt steigen inzwischen viel öfter aufs Rad oder nutzen den ÖPNV. Nur noch Anwohnende dürfen in der Innenstadt auf bestimmten Straßen fahren; bis 11 Uhr sind Lieferfahrzeuge und Handwerkerautos erlaubt. Ausnahmen gelten für Krankenwagen, Pflegedienste, Busse und Taxis. 15 Tiefgaragen in der Innenstadt nehmen den Anwohnerverkehr auf. Die überirdischen Parkplätze werden allmählich zurückgebaut und zu Parks und einladenden Plätzen umgebaut.
Gent wickelt den Autoverkehr über den Cityring mit Stichstraßen hin zu den Parkhäusern ab. Durchgangsverkehr ist dem ÖPNV und Radverkehr vorbehalten, Parksuch- und Schleichverkehr ist entfallen. So kommt man mit dem Auto noch bequem in die Stadt, während innerhalb des Cityrings der Autoverkehr minimiert ist.
Wie Gent Autos aus der Innenstadt verbannt hat:
Die Grundgedanken des Genter Verkehrsplans stammen aus einem Mobilitätskonzept aus dem Jahr 1997, das darauf angelegt war, langfristig eine Fahrradkultur in der Stadt zu etablieren. Der Kern der Maßnahmen sah vor:
– kein Durchgangsverkehr im Stadtzentrum
– ein dynamisches Parkleitsystem
– Parkflächen in Form von unterirdischen Abstellmöglichkeiten zu schaffen
– Straßen und Plätze neu anzulegen – und den Menschen zurückzugeben
Denn Mobilität sei schließlich nicht nur Verkehr, sondern auch Lebensqualität in der Stadt, eine angenehme Umgebung und eine bessere Nutzung des öffentlichen Raumes. Ziel war es, Raum für Begegnungen von Menschen zu schaffen und eine attraktive Stadt für Kinder zu werden.
Die Ausgangssituation in Gent ab dem Jahr 1997 ist hier dargestellt: Lesen Sie hier im PDF
Zahl der Radfahrer deutlich gestiegen
Nach einem Jahr hat die flämische Stadt bereits erste Erfolge verzeichnen können: Seit Einführung des Plans ist die Autonutzung in der Stadt um 12 Prozent gesunken, dafür werden 25 Prozent mehr Wege per Rad zurückgelegt, in der abendlichen Hauptverkehrszeit wird der ÖPNV 28 Prozent mehr genutzt als vorher. Und an 22 der 29 Messstellen hat sich die Luftqualität verbessert und auch der Einzelhandel ist zufrieden. Sehr zufrieden mit dieser Zwischenbilanz ist auch Filip Watteeuw von der Ökologiepartie Groen (Grün), als Vizebürgermeister der Stadt einer der Urheber des Konzepts. Dabei hatte er für die Pläne sogar Morddrohungen erhalten. Nach zweieinhalb Jahren Planung erfolgte der Switch. Am Tag der Umsetzung wurde Chaos erwartet und ein Aussterben der Innenstadt erwartet. Das Gegenteil trat ein, der Plan ging auf, die Stadtgesellschaft gratulierte.
Mut zeigen zu Maßnahmen, die im ersten Moment nicht immer populär sind – das ist für den Vizebürgermeister das entscheidende Element. „Ich weiß, dass dieser Plan die Lebensqualität erhöhen wird“, sagte er ein Jahr nach der Einführung des Konzepts gegenüber „Die Zeit“. Denn: „Menschen wollen eine gesunde Umgebung.“
Überschaubare Investition
Zwischen 2014 und 2018 wurden die Planungen umgesetzt. Die Investition betrug 15 Millionen Euro für Radwege und andere Infrastruktur sowie 4 Millionen Euro pro Jahr für den Unterhalt von Straßen, Plätzen, Schulumgebungen und ein Netz der Alltagsrouten. Zum Vergleich: Das erheblich größere Hannover plant, für 11 Millionen Euro alle Stadtteile bis in die City mit einem rund 100 bis 120 Kilometer langen Veloroutennetz zu versehen.
Beide Investitionen nehmen sich gegen übliche Straßensanierungen für Pkw günstig aus. So wird gerade zwischen Oberricklingen und Wettbergen die Straße In der Rehre auf einem Kilometer Länge für rund 3,8 Millionen Euro umgebaut (LINK: Quelle 1: der neue Tunnel am Südschnellweg wird auf 800 Metern gar rund 140 Millionen kosten. Quelle 1 und Quelle 2
Hamburg: „Ottensen macht Platz“ als Experiment auf Zeit
Ein ähnliches Konzept verfolgt Hamburg im Stadtteil Ottensen: Dort war vom 1. September 2019 an testweise das Zentrum sechse Monate lang formal als Fußgängerzone ausgewiesen – und damit so weit wie möglich autofrei. „Ottensen macht Platz“ war ein Experiment, das dem nicht motorisierten Verkehr Vorrang gewährt und den öffentlichen Raum den Bürgerinnen und Bürgern zur Verfügung zurückgibt. Wo vorher Autos parkten, konnten sich nun Fußgänger ungestört bewegen, Fahrradfahrer durften mit Schrittgeschwindigkeit fahren. Am Ende des Tests waren sich die Ottenser einig, vor allem, was das Thema Verkehrssicherheit anging: Zwei Drittel der Befragten fühlten sich durch das Projekt „Ottensen macht Platz“ sicherer auf den Straßen (66 Prozent) und bewerteten die Verkehrssituation für Kinder (72 Prozent), für Fußgänger (73 Prozent) und für Radfahrer (72 Prozent) als positiv.
Mehr über das Experiment: Ottensen macht Platz